Vielen Verbänden gehen Lockerungen nicht weit genug
Die Bundesregierung begründete ihre Maßnahmen unter anderem damit, dass es zu viel Gedränge im Nahverkehr und in den Fußgängerzonen gebe, wenn alle Geschäfte am kommenden Montag wieder öffnen würden. Kanzleramtsminister Helge Braun sagte am 16. April im ARD-Morgenmagazin: „Deshalb müssen die großen Geschäfte, die häufig die Publikumsmagneten sind, noch eine Weile geschlossen bleiben.“
Dieser Argumentationslinie widersprechen mehrere Wirtschaftsverbände. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA Bundesverband) sieht das Gastgewerbe als hauptbetroffene Branche der Krise.
Gastgewerbe sei hauptbetroffene Branche der Krise
„Unsere Betriebe waren die ersten, die geschlossen wurden, und sind nun die letzten, die wieder öffnen dürfen“, sagt Guido Zöllick, Präsident des DEHOGA-Bundesverbandes.
Zöllick betont, dass das Gastgewerbe alles akzeptiert, was gesundheitspolitisch geboten sei. Allerdings müssten die Maßnahmen nachvollziehbar und begründet sein. „Umso wichtiger ist jetzt ein sofortiges Rettungspaket für die Branche, wie wir es von Beginn an gefordert haben“, so Zöllick. Nur so ließen sich eine Pleitewelle nie gekannten Ausmaßes und Massenarbeitslosigkeit verhindern.
Vielen Betrieben fehle klare Perspektive
Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), gibt zu bedenken: „Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sorgen sich nicht nur um die Gesundheit von Mitarbeitern und Kunden, sondern auch um das wirtschaftliche Überleben. Wir müssen und wir können jetzt gemeinsam den größtmöglichen Gesundheitsschutz mit Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft verbinden", mahnt der DIHK-Präsident.
Schweitzer konstatiert: „Für viele Betriebe fehlt weiterhin eine klare Perspektive“
Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) übt Kritik an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, vor allem steht die 800 Quadratmeter-Grenze im Kreuzfeuer. „Die Regelungen zur Wiedereröffnung der Nicht-Lebensmittelhändler müssen diskriminierungsfrei sein. Lockerungen der Ladenschließung dürfen sich nicht an Betriebsgrößen oder Verkaufsflächen festmachen. Die jetzt beschlossenen Vorgaben führen zu Wettbewerbsverzerrungen und Rechtsunsicherheiten“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.
800 Quadratmeter-Begrenzung im Blickpunkt
Einzelne Bundesländer, wie Rheinland-Pfalz, legen die Vorgabe kreativ aus, indem auch Geschäfte öffnen dürfen, die eine größere Verkaufsfläche als 800 Quadratmeter haben, aber die „überschüssige“ Fläche absperren, berichtet "deutschlandfunk.de". Zuvor hatte bereits Nordrhein-Westfalen Möbel- und Einrichtungshäusern sowie Babyfachmärkten unabhängig von der Verkaufsfläche erlaubt, wieder zu öffnen. Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) begründete dies mit einem klaren wirtschaftlichen Interesse.
Mit der möglicherweise baldigen Wiedereröffnung der Geschäfte sieht der Handelsverband die Krise für den Handel aber noch lange nicht als überstanden an: „In den letzten vier Wochen ist im Nicht-Lebensmittel-Einzelhandel ein Schaden von rund 30 Milliarden Euro entstanden. Viele Handelsunternehmen stehen kurz vor der Pleite. Die staatlichen Hilfen sind weiterhin bitter nötig“, sagt Genth. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen seien auf finanzielle Soforthilfen und Kreditprogramme angewiesen. Hier habe die Politik sehr schnell die Initiative ergriffen, im weiteren Krisenverlauf müsse aber sicherlich noch nachjustiert werden.
Mittelstand sei existentiell bedroht – Verband fordert weitere Unterstützung
Laut Bundesverband mittelständische Wirtschaft, Unternehmerverband Deutschlands (BVMW) bedrohe die Coronakrise den deutschen Mittelstand existentiell. Für mehr als drei Viertel der Unternehmen und Selbstständigen reichten die bislang ausgezahlten staatlichen Fördermittel nicht aus, um den Finanzbedarf zu decken. Zudem sei Mittelständlern mit Krediten allein nicht nachhaltig geholfen, da sie die Schuldenlast weiter erhöhen und somit eine Insolvenz häufig nur in die Zukunft verlagert werde, sagt Mittelstandspräsident Mario Ohoven. Halte der Shutdown der Wirtschaft noch weitere 4 Wochen an, stehe dem Verband zufolge jedes zweite mittelständische Unternehmen vor dem Aus. Über 50 Prozent haben Soforthilfen und mehr als ein Drittel (35 Prozent) Kurzarbeitergeld beantragt.
Die Politik müsse deshalb sofort handeln: Der Mittelstand brauche jetzt einen Dreiklang aus einem konkreten Exit-Fahrplan, raschen Liquiditätshilfen sowie einem Konjunkturprogramm mit nachhaltigen Steuersenkungen. Sonst drohe bei mittelständischen Unternehmen und Selbstständigen ein Kahlschlag ungeahnten Ausmaßes.
Richtiges Maß gefunden
Einzig der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hält sich mit Kritik zurück. Zu den Beschlüssen der Bundesregierung zu den Lockerungen der coronabedingten Beschränkungen betont Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer: „Die Beschlüsse der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten haben ein richtiges Maß an Sicherheit für die Gesundheitsvorsorge bei ersten Schritten zur Wiederaufnahme des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens gefunden.“
Am 30. April wollen die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder und die Bundeskanzlerin erneut über mögliche weitere Lockerungen beratschlagen.